Ausgewählte Besprechungen in überregionalen Feuilletons
   Räume oder Das museale Zeitalter
  "Ehemaliges Kraftwerk" hat Reinhard Matz lakonisch zu dieser Fotografie der Battersea Power Station in London vermerkt. Die meisten dieser Räume sind nicht mehr das, was sie einmal waren: "Räume oder Das museale Zeitalter" hat Reinhard Matz 20 Fotografien und einen Essay überschrieben, die bei DuMont als gewichtiger Band erschienen sind. Doch nicht bloß puristische Reduktion steht hinter dieser Geste. Die großformatigen Bilder europäischer Räume, von Barcelona bis Budapest, von Berlin bis Padua sind so bodenlos wie manche der Hallen und Säle, Vestibüle und Treppenhäuser, die wir auf ihnen sehen. Paradoxerweise haben diese Räume nicht nur keine Zukunft, sondern auch keine Vergangenheit, keine Vor-Geschichte. Sie sind außerhalb der Zeit zum Stehen gekommen. Das Licht, das durch Ritzen, Löcher, Fensterbänder und andere undichte Stellen eindringt, kommt nicht aus der Wirklichkeit. Wirklich ist nichts, was nicht in ihnen ist. So hat diese Welt, so scheint es, in diesen Räumen begonnen, und sie wird auch in ihnen enden. Ein Buch über die 80er Jahre ist das geworden, wie Reinhard Matz in seinem Vorwort anmerkt. Eine Vision einer Welt, die selbst zum Museum geworden ist, ein ,,posthistoire“, angefüllt mit Gerümpel im Schatten der großen Entwürfe von einst. Nun ist das ,,posthistoire“ selbst schon wieder Geschichte geworden. Die Räume Europas drohen sich der Menschen schon wieder zu bemächtigen. Doch die Räume, die Reinhard Matz in den achtziger Jahren erkundet hat, haben keine Tiefe, in allen ihren Elementen sind sie uns gleich nah und gleich fern. Nur vordergründig lassen ihre dunklen Zonen, ihre Abgründe und ihre gewaltigen, schattigen Gewölbe Geheimnisse vermuten. Doch wir wissen schon längst, daß es in ihnen so leer, so aufgeräumt verwahrlost ist, wie in jenen Räumen, die uns, bühnenhaft in gebrochenes Licht getaucht, nichts mehr zu bieten haben als den Staub vom Vortag. Reinhard Matz hat seinen Bildern einen Essay an die Seite gestellt, eine Typologie der Erfahrung mit dem Raum im Zeichen einer zum Stillstand erstorbenen Zeit. Es lohnt sich, jedes seiner Fragmente zum Ausgangspunkt eines Streifzugs durch jene zwanzig europäischen Räume zu machen, wieder und wieder von den Bildern in den Text zurückzukehren und umgekehrt. Das Kulinarische der Räume verliert sich bald. Zurück bleibt ein Schrecken. Der vor dem Tod.

HANNO LOEWY
(Mit Abbildung in Frankfurter Rundschau vom 7.4.1990)