Ausgewählte Besprechungen in überregionalen Feuilletons
   Räume oder Das museale Zeitalter
  Die großformatigen Schwarzweißfotos von Reinhard Matz zeigen Innenräume: weite, hohe, aufwendig gestaltete und geschmückte Hallen oder Säle, denen anzusehen ist, daß sie für öffentliches Leben, für Gruppen von Menschen, für den Ablauf von Zeremonien oder zumindest von Ritualen geschaffen wurden. Auf den Fotos von Reinhard Matz aber sind die Räume allesamt menschenleer, so auch auf unserer Abbildung die "ehemalige Gleishalle des Nordbahnhofs, Barcelona 1985". Der Fotograf liebt es, funktionslos gewordene Interieurs abzubilden, vom "ehemaligen Abstimmungssaal im, Dogenpalast, Venedig" über die "ehemalige Schiffsschraubenfabrik Zeise, Hamburg" bis hin zu einem "ehemaligen Holzlager, Köln-Porz". Vorgestellt werden aber auch Architekturen, die noch in Benutzung sind, etwa die riesige Halle des Mailänder Hauptbahnhofs oder Museumsräume, eine Reithalle, zwei Veranstaltungssäle. Die Kamera fotografiert diese Räume sozusagen, wenn sie schlafen, so daß sich der gleiche ästhetische Effekt einstellt wie beim Anblick der funktionslos gewordenen: Traurigkeit angesichts des Leblosen, Melancholie bei Betrachtung dieser reichen architektonischen Sprache, deren Zeichen nun ins Leere gehen, ein sinnloser Appell, dem nichts und niemand gehorcht. Matz hat sein Buch mit einem etwas überanstrengten Essay versehen, der die Melancholie solch funktionslos gewordener Räume als Metapher der politischen Situation des letzten Jahrzehnts versteht. Den überzeugenden Stimmungsgehalt der Fotos mindert diese Deutung erfreulicherweise nicht.

W.W. (Wilfried Wiegand)
(Mit Abbildung in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.6.1990)