Fassade.Köln – Vorwort (gekürzt)


Dieser Textband ist der zweite Teil eines Projekts zum Kölner Stadtbild, das unter gleichem Titel vor einem Jahr mit einem reinen Bildband im selben Verlag begann. Es war die Idee, zunächst die Fotografien für sich wirken zu lassen und sie nicht durch parallele Interpretationen von vornherein festzulegen. Andererseits schätze ich die produktive Verquickung von Texten mit Bildern, deren Kombination durch die ihnen je eigene Qualität viele Themen profunder reflektieren kann.

Die Rechnung ging auf. Zeitversetzt fragte ich Literaten, Stadtpolitiker, Wissenschaftler und Fachleute aus dem Bereich Architektur nach Beiträgen. Die vielfach spontane Bereitschaft, sich durch den Bildband zu einer Stellungnahme anregen zu lassen, hatte mich überrascht. Dabei bat ich ausdrücklich nicht um eng an die Bilder angelehnte Interpretationen, sondern um eigene Ansichten zum Erscheinungsbild der Stadt. So entstand als Ergänzung zu der Folge von Fotografien eine eigenständige, facettenreiche Reflexion des Themas im Medium der Sprache. In diesem Projekt geht es nicht um die in Reise- und Architekturführern verzeichneten Prunkwerke der Stadt, nicht um Kölns wichtigste Gebäude oder Großprojekte. Es geht auch nicht um projektierte >Leitbilder< oder die Hochhausdebatte der letzten Jahre zwischen Investorenträumen und Sichtfelderschutz auf den Dom; alles Aspekte und Fragen, die in Hinblick auf das Stadtbild sicherlich von Bedeutung sind. Hier geht es erst einmal um eine Bestandsaufnahme des Ist-Zustands Kölner Architektur im Kleinen, um die der Stadt eigene Alltagsarchitektur, um eine Feinzeichnung des Typischen im Kölner Stadtbild.

Fotografien insistieren auf die im Bild bedeutsam gemachten Oberflächen der Objekte – um hier nicht von ihren Fassaden zu sprechen –, während Texte deren vielschichtige Hintergründe und Subtilität verhandeln können. Deshalb haben die Kindheits- und Jugenderinnerungen Sverker Reblings hier ihren Ort, die weit hinter die Kölner Fassaden schauen lassen. Anschließend stellt der Soziologe Oliver König die Rolle der architektonischen Fassade im Rückgriff auf Gesicht und Psyche sowie kulturhistorische Bedeutungsfelder dar. Zuvor aber beschreiben Literaten ihr Verhältnis zu Köln, das zwischen Wünschen und Enttäuschung, Neugier und Sehnsucht changiert. Der Abschnitt beginnt mit der Anekdote eines Großstädters, den es in eine Kleinstadt zu verschlagen schien, und endet mit den Erlebnissen eines Kleinstädters, der in Köln die Großstadt kennen lernte. Erstaunlicherweise verdichten sich beider Erfahrungen ausdrücklich in Bildern; in Bildern, die sie auch nach mehr als dreißig Jahren präzise beschreiben.

Nach Königs Begriffsanalyse der Fassade als Einstieg in die historisch-theoretischen Hintergründe erinnert Eberhard Illner, Mitarbeiter des Stadtarchivs, an die Kölner Nachkriegssituation, in der es zunächst galt, schnell billigen Wohnraum zu erstellen, während spätere Bauvorhaben sich mehr an mittelständischen Repräsentationsbedürfnissen orientierten. Als Illustration dient ihm die Bautätigkeit des Architekten Hans Pingel, dessen Nachlass im Stadtarchiv bewahrt wird. Jörg Beste, Architekt und seit kurzem Geschäftsführer des Architektur Forum Rheinland, untersucht, wie es bei all dem zur Schau getragenen Lokalstolz zu so augenfälligen ästhetischen Unzulänglichkeiten im Stadtbild kam und kommt, der Stadt aber dennoch eine Attraktivität auf den dritten Blick nicht abgesprochen werden kann. Und Manuel Herz, ebenfalls Architekt, entlarvt die fragwürdig populistische Begründung, mit der das Herkules-Hochhaus 2005 mit der »Gelben Zitrone« zum hässlichsten Kölner Bauwerk gekürt wurde.

Ein wenig stolz bin ich auf die Mitarbeit von drei prominenten Stadtpolitikern. Der Kulturdezernent Georg Quander wirbt für Verständnis gegenüber den Kölner Fassaden, diskutiert aber auch Maßnahmen gegen deren Wildwuchs. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Barbara Moritz plädiert für einen »Aufbruch zu einer neuen Qualität«, der Zeitpunkt dazu sei günstig. Und der Vorsitzende des Kulturausschusses, Lothar Theodor Lemper, CDU-Ratsmitglied, erregt sich sehr detailiert über die städtischen Un- und Fehlgestaltungen, um erneut an die Forderung nach einem kompetenten Stadtbaumeister zu erinnern.

In der »Welthauptstadt der Spaßkultur« (Heiner Mühlmann) darf bei der Selbstkritik die Satire nicht fehlen. Der Kabarettist Heinrich Pachl liefert eine persönliche Auseinandersetzung in Sachen Denkmalpflege als Glosse und der Architekt Heiko Keune – pars pro toto – die Architektursatire auf eine Kölner Einkaufsstraße.

Die Dokumentation gibt Ralf Niemczyks Eröffnungsrede zur Ausstellung und zur Vorstellung des Bildbandes wieder sowie von einer Reihe positiver Besprechungen deren profundeste von Ulf Erdmann Ziegler. Diagnostiziert Oliver König in den Kölner Fassaden das Karnevalsprinzip, sieht Ziegler das Stadtbild »als grandioses Beispiel eines stillstehenden Aschermittwochs«.

Mit einem ausführlichen Projektnachwort erlaube ich mir, am Ende meine eigene Meinung zur Kölner Stadtgestaltung zu outen und damit das Projekt vorerst (?) abzuschließen. […]

»Stadt ist – gelungen oder mißlungen, kultiviert oder trübsinnig –
Gruppenausdruck und Ausdruck der Geschichte von Gruppen, ihrer
Machtentfaltung und Untergänge«, schrieb Alexander Mitscherlich 1965 in Die Unwirtlichkeit unserer Städte, »ein unsichtbares Band verknüpft Einstellungen, Mentalität, Beweglichkeit, Traditionalismus der in einer Stadt lebenden Geschlechterfolge. Ein Stilgefühl besonderer Art ist der >Stadtgeist<.« – Ziel des vorliegenden Projekts ist es, diesen Stadtgeist aufzuspüren, ihn dingfest zu machen und zur Rede zu stellen.


  Reinhard Matz, Juli 2006